28. Mär 2021, Dietrich Preuß, Vermögensgestaltung
An der Börse wechseln sich Phasen steigender Aktienmärkte mit Phasen fallender Aktienmärkte in schöner Regelmäßigkeit ab. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob während des Ruhestands Aktien als Anlageform überhaupt geeignet sind. Wird der erreichte Wohlstand im Ruhestand durch Aktienanlagen eher gesichert oder eher gefährdet?
Zur Beantwortung dieser Frage, lohnt sich der Blick zurück auf die vergangenen 100 Jahre. Aktiengesellschaften sind sehr widerstandsfähige Organisationen. Siemens wurde 1847 gegründet. Procter & Gamble und hundert andere US-Gesellschaften zahlen seit dem Jahr 1900 ununterbrochen Dividende aus. Aktiengesellschaften haben Weltkriege, Währungsreformen, den kalten Krieg und andere Krisen überdauert. Sie geben über sich selbst jährlich im Jahresabschluss auf Heller und Cent Auskunft. Eine basisdemokratische Organisation in Form der Börse stimmt täglich darüber ab, wie die Zukunft der einzelnen Unternehmen bewertet wird. Gibt es neue Informationen fließen diese sofort in die Kurse ein, teils mit schmerzhaften Abschlägen oder Aufschlägen im Belohnungsfall. Kaptialgesellschaften investieren in Zukunftsprojekte und befeuern den Fortschritt. Geht die Investition auf, wird Gewinn erwirtschaftet. Fällt die Investition ins Wasser, haften die Eigentümer mit ihrem privaten Geld. Nachhaltigkeitsaspekte fließen bei Investitionsentscheidungen mehr und mehr ein. Das Gemeinwesen profitiert über Steuereinnahmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Grundsätzlich sind Aktien deshalb für langfristige Anleger ein konservatives Investment.
Allerdings haben wir es mit Unternehmertum zu tun, bei dem Erwartungen enttäuscht werden können oder Einschätzungen sich als falsch erweisen. Plötzliche Ereignisse können das einzelne Geschäftsmodell bedrohen. Die gute Nachricht: Das Risiko des Anlegers, vom Schiffbruch eines einzelnen Unternehmens massiv betroffen zu sein, lässt sich über kluge und breite Diversifikation für den Anleger fast vollständig eliminieren. Das setzt voraus, dass Anleger oder dessen Berater den Versuch unterlassen, den Markt schlagen zu wollen. Es bleibt für den Anleger das systematische Risiko übrig, dass sich für den Markt generell ergibt. Diese Risiko kann der Anleger nicht beeinflussen. Für das Tragen dieses systematischen Risikos wird er früher oder später belohnt werden. Da der Zeitpunkt ungewiss bleibt, wie lange Bullen- bzw. Bärenmärkte laufen, kommt es für den Anleger darauf an, die für ihn akzeptable Risikodosis zu bestimmen. Das kann über das zusätzliche Vorhalten von Liquidität am besten gelingen. Wir sehen auf lange Sicht bei einem Aktieninvestment eine hohe Verlässlichkeit bei der Schaffung von Vermögenswachstum. Schauen wir uns dazu die Historie an.
Aktienrenditen sind volatil, aber es zeigt sich, dass die guten Zeiten (Bullenmärkte) die schlechten Zeiten (Bärenmärkte) übertroffen haben, wenn man sich den zurückliegenden Zeitraum von fast 100 Jahren anschaut.
Daraus lassen sich Rückschlüsse für die eigene Strategie ziehen. Die Höhen und Tiefen des Aktienmarkts sind unvorhersehbar, aber die Historie unterstützt die berechtigte Erwartung langfristiger positiver Renditen. Um die Vorteile des Aktienmarkts zu erfassen, ist jedoch Disziplin erforderlich. Die großen Kurssprünge ereignen sich oft in nur wenigen Tagen. Spekulatives Ein- und Aussteigen ist keine erfolgversprechende Strategie, das zeigt sich in nahezu allen Langzeituntersuchungen. Auch im sogenannten Ruhestand verfügen Anleger für einen Teil des Vermögens über einen langfristigen Anlagehorizont. Wer beispielsweise mit 60/65 aus dem Erwerbsprozess ausscheidet, kann statistisch diesseitig noch gut 20-40 Jahre vor sich haben. Bei Zinssätzen von um die Null Prozent klingt das fast wie eine Drohung. Mit Aktien waren in der Vergangenheit bei mittlerem Risiko nach Steuern und Kosten durchaus 3-5 Prozent Rendite drin, sofern keine teuren Fonds gewählt wurden und ebenso aktives Anlagemanagement vermieden wurde. Mit dieser Renditeerwartung sollte sich ein gewisser Wohlstand und auch Urlaube an der italienischen Amalfiküste absichern lassen.
Übrigens: Viele Anleger sind mit dem weitaus größten Teil des Vermögens innerhalb der Europäischen Union investiert und setzen auf eine (Land)Karte: Rentenversorgungen, Bankguthaben, Immobilien, Wertpapiervermögen, Währung. Ein gut diversifiziertes Aktiendepot wird – auch im Ruhestand – überwiegend außerhalb von Europa investiert sein und damit helfen, das bestehende europäische Klumpenrisiko zu reduzieren. Flankierend sollte – vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie – die Gründung einer Familienstiftung erwogen werden. Die Begehrlichkeiten des Staates und seiner Wähler in Deutschland zeichnen sich bereits ab.
Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, Aktien sind auch im Ruhestand vernünftig, wenn man es richtig anstellt. Eine ganze Reihe von Faktoren sollten bedacht werden. Der Anlagehorizont, der Grad der Diversifikation, das eingegangene Schwankungsrisiko, Liquiditätsreserven und die Disziplin entscheiden darüber, ob das Depot segensreich wirken kann. Der Anleger sollte diese Gedanken nicht nur im Hinterkopf behalten, sondern in einem umfassenden Vermögens- und Anlageplan schriftlich fixieren. Sinnvollerweise werden in diesem Plan auch grundsätzliche Möglichkeiten der Steueroptimierung, des Vermögensschutzes und der Vermögensnachfolge diskutiert.
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